In eigner Sache
Genaugenommen bin ich erst im dritten Anlauf zur Kunst gekommen. Der erste
scheiterte, nachdem ich in Köln meine Buchhändlerlehre beendet hatte,
in München. Eine Möglichkeit, neben der Kunstakademie genügend
Geld zu verdienen, zerstob. 1957 gabs noch kein Bafög. Der zweite Anlauf
geschah in Basel. Immerhin gelang es mir dort, während dreier Jahre Kunstschule
mich durchzubeißen. Aber mit dem Ende des letzten Semesters schwand
der Mut, mich ganz der Kunst zu widmen. Erst 1983, inzwischen war ich 46,
ließ ich mich ganz auf die Kunst ein. Mir war klar, es würde ein
Leben ohne Sicherheit, und wenn ich nicht verhungern wollte, von Job zu Job.
Schon in der basler Zeit hatte ich das Alter meiner Lehrer, nicht das meiner
Mitschüler. Und nun war ich erst recht hoffnungslos daneben. Wenn es
um Stipendien oder derlei ging, winkte man ab. Ein freier Künstler, wenn
er nicht eine reiche Frau hat oder von zuhause begütert ist oder nebenher
Lehrer (am besten Professor an einer Akademie), kaut ein freies aber hartes
Brot.
Als Kind war ich ein emsiger Kopist. Ich erinnere mich, wie ich als 7-jähriger
dabeiwar, einen Atlas zu kopieren. Im Trümmerschutt hatte ich ihn entdeckt,
der Einband war zerfetzt, und viele Seiten waren nur noch halb vorhanden.
Meine Mutter schimpfte, was ich denn mit dem übelriechenden Ding anstellen
wolle. Aber ich ließ mich nicht beirren, zwischen Fliegeralarm und Luftschutzkeller
diese erbärmliche Schwarte zu kopieren. Und wo ich nicht weiterkam, weil
mir die Vorlage fehlte, ergänzte ich die Länder nach meinem Gutdünken.
In den wenigen Schulstunden machte ich mir während der Pausen vor unsrer
großen Europakarte, die an der Wand hing, flüchtige Skizzen. Auf
meinem Atlas sah Italien wie ein rechtschaffener Stiefel aus, Griechenland
bekam seinen Euter, die Ostsee war die betende Jungfrau. Nur bei Sizilien
schwindelte ich ein wenig mehr, weil der Ball vor dem Stiefel nicht so eckig
aussehen sollte. Skandinavien war natürlich ein pelziges Tier, die Halbinsel
Kola der Schwanz, und da, wo Oslo lag, die Schnauze. Bei England, einem Fakir
mit untergeschlagenen Beinen und einem kecken Federbusch, ging mir das Papier
aus. Für den Einband fand sich sowieso kein geeigneter Karton, und überhaupt
wollte meine Mutter schon lange Schluß machen mit dieser Papierverschwendung.
Später, wenn ich davon las, wie angehende Künstler im Louvre, den
Uffizien und der Alten Pinakothek saßen, um Alte Meister zu kopieren,
dachte ich an meinen Atlas.
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